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Das Sinnesleben der Insekten

Neunte Studie.

Kritische Bemerkungen über einige, seit 1887 publizierte Experimente andrer. Eigene Ex- perimente über den Gesichtssinn der In- sekten, ihr Farbensehen, ihr Fernsehen.

I. Sigmund Exner.^

Wir schulden Exner ganz besonderen Dank wegen seiner physio- logischen Studien über das Insekten- und Krustaceenauge. Diese meisterhaften, tief eindringenden Studien enthalten die Resultate der in seinen früheren Werken niedergelegten Forschungen mit einigen wich- tigen Modifikationen, ohne dass indessen radikale Änderungen not- wendig gewesen wären. Ehe ich in kurzen Zügen auf diese Arbeiten ein- gehe, möchte ich ein fundamentales Gesetz betonen, das aller Sinnes- tätigkeit zugrunde liegt. Die Schärfe der Leistung eines Sinnesorgans ist stets bei gleichen sonstigen Verhältnissen (wir werden dies noch an Copilia demonstrieren) proportional der Anzahl seiner Nervenendelemente. Die scheinbaren Ausnahmen dieses Gesetzes (so die Vermehrung der Nervenendelemente bei grösseren Tieren oder die

Sigmund Exner:

1. Durch Licht bedingte Verschiebungen des Pigments im Insektenauge und deren physiologische Bedeutung. (Sitz.-Ber. d. k. k. Akad. d. Wiss., Wien, math. naturhist. Klasse. Bd. 98, Abt. 3, März 1889.

2. Das Netzhautbild des Insektenauges. Ebenda, Februar 1889.

3. Die Physiologie der facettierten Augen. Leipzig u. Wien, bei Franz Deuticke, 1891.

150 Kritische Bemerkungen; Exner

Dehnbarkeit der Sehfähigkeit bei Copilia) dienen nur zu seiner Be- stätigung. Mir scheint, dass dieses Gesetz bei der Aufstellung von Theorien über die Sinne von Insekten nur zu oft vernachlässigt worden ist.

Es ist Exner gelungen, das alleinige aufrechte Gesamtbild, wie es im Facettenauge von Lampyris splendidula (Leuchtkäfer) gebildet und von dem Gehirn dieses Insektes zweifellos mehr oder minder deutlich wahrgenommen wird, zu entdecken und zu fixieren. Dieses Bild ist wesentlich deutlicher als das, welches er auf Grund seiner Theorien vermutet hatte, und welches ich selbst im Anfang dieses Buches (Tai I, Fig. 3) abgebildet habe. Wenn nun dies letztere nicht sehr deutlich ist, so darf nicht vergessen werden, dass es ein theo- retisch nur von drei Facetten erzeugtes Bild, und zwar eines sehr kleinen Gegenstandes wiedergeben will. Auch möchte ich hier gleich erwähnen, dass Exner selbst seinen Zweifel darüber ausspricht, ob das Insekt fähig ist, das betreffende Bild mit derselben Schärfe wahr- zunehmen, mit der es von ihm (Exner) selbst gesehen und photo- graphiert worden ist. Gesetzt selbst, dass dies möglich ist, so ist doch das biologische Experiment allein imstande, uns mit annä- hernder Bestimmtheit darüber Auskunft zu geben, was Exner selbst auch vollständig zugibt.

Das Bild, das Exner aus dem Auge von Lampyris splendidula erhalten hat, ist das eines Fensters, das sich 2,25 m von dem Auge entfernt befand; auf dieses Fenster ist ein „R" aus Papier geklebt, dessen Grundstriche 4,9 cm breit sind, auch kann man durch das Fenster hindurch einen 135 Schritt dahinter gelegenen Kirchturm eben noch erkennen. Ophthalmologisch ausgedrückt repräsentiert dieses Bild eine Sehschärfe von ^^ bis ^^ Snellen. Danach würde ein Lampyris ein aus Stäben von 5 cm Breite bestehendes Gitter noch aus einer Entfernung von 2,25 m als Gitter erkennen. Aus einer Entfernung von 1 cm aber würde es noch Stäbe von 0,22 mm Breite erkennen. Die Deutlichkeit des Bildes entspricht also der Zahl von Nervenendelementen, oder mit andern Worten der Zahl der Facetten, da jede Facette ein im vorliegenden Falle mit sieben Zellen versehenes Rhabdom besitzt, und Exner schliesst daraus ganz mit Recht, dass grössere und an Nervenendelementen reichere Insekten- und Krustaceenaugen zweifellos noch viel deutlichere Bilder liefern.

In Beantwortung einer, diesen Gegenstand betreffenden Anfrage antwortete mif Prof. Exner mit folgenden Worten: „Ich kann nun-

Kritische Bemerkungen; Exner 151

mehr mit Bestimmtheit behaupten, dass die Deuth'chkeit des Bildes sich steigert mit der Anzahl der auf jeden Winkelgrad der Augen- wölbung entfallenden Facetten". Dies stimmt also ganz genau mit meinen früheren Angaben und Resultaten überein.

Trotzdem erfährt die Theorie Johannes Müllers über das mu- sivische Sehen infolge der Exnerschen Arbeiten einige ziemlich wesent- liche Modifikationen. Es ist mir an dieser Stelle unmöglich, auf die Einzelheiten der Brechungsverhältnisse des Facettenauges einzugehen; ich muss vielmehr den Leser auf das Studium des Originals ver- weisen.

Exner untersuchte aufs gründlichste den Brechungsindex der verschiedenen lichtbrechenden Medien des Auges bei zahlreichen Arthropoden. Er macht vergleichende Angaben über die Bilderzeugung, je nachdem die Gesichtswahrnehmungen des Tieres unter Wasser oder in der Luft stattfinden, wobei sich auf Grund der Struktur der erwähnten Medien des Auges nur geringe Unterschiede ergaben. Er beweist, dass die Substanz der Kristallkegel in Schichten von ver- schiedenem Brechungsindex angeordnet ist, und zwar in negativer Pro- gression. Durch diese Tatsache verbinden sich die Eigentümlichkeiten der zylindrischen Form, die jede Facette auszeichnet, mit denen einer Sammellinse. Exner gibt diesem Apparat den Namen eines „Linsen- zylinders". Diese Feststellung zwingt ihn zu einer Modifikation seiner früheren Theorie, wonach die Strahlen einfach durch die Wände des Zylinders zurückgeworfen würden. Auf die mathematischen Be- rechnungen, die Beobachtungen und entsprechenden Beweisführungen, die Sigmund Exner anlässlich dieser Frage mit Hilfe seines Bruders Karl Exner anstellt, kann ich hier nicht eingehen. Ihr Gesamtresultat lässt sich in folgenden zwei Hauptfällen zusammenfassen : Fall A. : Der Fokus der gebrochenen Strahlen befindet sich an der hinteren Basis des Zylinders (der Kristallkegel), dessen Länge infolgedessen der Fokaldistanz entspricht. Dann werden die zentralen Strahlen der Facetten von ihrem Austritt aus dem Zylinder an (gegen die Retinula zu) parallel, nachdem sie das Bild erzeugt haben. Fall B. : Der Zylinder ist doppelt so lang als seine Fokaldistanz; dann wird ein umgekehrtes Bild eines sehr entfernten Objektes in derMitte der Länge des Zylinders erzeugt, und die Strahlen verlassen den Zylinder am anderen Ende ebenso wie sie eingetreten sind, d. h. unter demselben Winkel, den sie bei ihrem Eintritt mit solchen Strahlen bildeten, die von einem andern Punkt des Objektes ausgingen. Die Wirkung ent-

152 Kritische Bemeri^ungen; Exner

spricht der eines nicht vergrössernden astronomischen Teleskops, das auf unendliche Entfernung eingestellt ist.

In Wirklichkeit aber stellen die Facetten der Arthropoden sehr verschiedene Kombinationen dieser beiden Refraktionsmodalitäten dar, Kombinationen, die dahin zielen, ein so gebrochenes Strahlen- bündel zu konzentrieren, und zwar in Gestalt eines umgekehrten nebelhaften Bildes eines begrenzten Teiles des im Gesichtsfeld gelegenen Objekts. Die Gesamtheit der Strahlenbündel einer grossen Anzahl von Facetten dient dann zur Bildung des grossen aufrechten Bildes, das von dem Individuum wahrgenommen wird.

Exner zeigt, dass es, je nach der betreffenden Insekten- oder Krustaceenspezies, entsprechend den soeben dargelegten Tatsachen, zwei hauptsächliche Formen des dioptrischen Sehens (der Bild- erzeugung) gibt.

1. Im ersten Falle beschränken sich die Corneae und die Kegel mehr oder minder auf die Wirkung eines lentikuloiden Zylinders (A) von der Länge der Fokaldistanz. Die Kegel sind bis zu ihrem hinteren Ende, welches das Licht zuweilen nur an einem sehr kleinen Zentral- punkt passieren lässt, von Pigment umgeben. Die empfindlichen Nervenendorgane sind dicht und unmittelbar hinter den Kegeln gelegen. Die Strahlenbündel jeder Facette wirken daher auf jede Retinula getrennt und bilden durch ihre Kombination ein aufrechtes Bild durch Juxtaposition auf derselben Ebene unmittelbar am Ende der Kegel und tangential oder identisch mit der Ebene der Gesamtheit der Retinulae. Dieser Fall liegt vor bei dem Auge eines Krusters (Limulus), der von Exner untersucht worden ist, und bei dem es ihm gelang, das aufrechte Bild zu sehen.

Bei vielen Insekten sind die Sehstäbe sehr lang (Rhabdome) und von den Kristallkegeln durch ein durchsichtiges Gewebe von beträcht- licher Stärke (Glaskörper) getrennt. In diesem Fall unterliegt die J. Müllersche Theorie durch das, was Exner als aufrechtes Bild durch Superpositon bezeichnet, einer starken Modifikation. Hier ist das Pigment mehr nach vorn, zwischen die Kristallkegel konzentriert, während das rückwärtige Ende dieser letzteren desselben ermangelt. Infolgedessen werden die Lichtstrahlen in jeder Facette gebrochen, deren Zylinder die doppelte Länge der Fokaldistanz (Fall B) besitzt, was ihn wie ein astronomisches Teleskop, das auf unendlich ein- gestellt ist, wirken lässt.

Kritische Bemerkungen; Exner 153

Strahlen, die z. B. aus einer Lichtquelle hervorgehen, die weit genug entfernt ist, um Strahlen, die als parallele betrachtet werden dürfen, auszusenden, werden von mehreren Facetten in der Weise gebrochen, dass sie längs einer gewissen Ausdehnung desselben Elementes (Rhabdom) der Retina, übereinandergelegt werden; ein Strahl, der von der rechten Seite des Objektes ausgeht, wird auch nach der rechten Seite des aufrechten Bildes gehen. Die Strahlen, die von einem zweiten Licht ausgehen, werden sich (übereinandergelegt) auf einem andern Rhabdom derselben Seite wie das genannte zweite Licht konzentrieren usw. Mit einem Wort, wir erhalten ein aufrechtes Bild durch Aufeinanderlegung der von verschiedenen Facetten ge- brochenen Lichtbündel. Die Nachbarfacetten werden sich teilweise an den verschiedenen Portionen des Bildes beteiligen. Dies wird nur ermöglicht durch die Abwesenheit von Pigment in dem rück- wärtigen, dicksten Teil des dioptrischen Apparates. Diese Art des Sehens nähert sich einigermassen dem der Wirbeltiere. Ich verweise hier ebenso auf die von Exner gegebenen mathematischen Beweise wie auf seine Figuren. Selbstverständlich macht dieses Auge viel mehr Strahlen nutzbar als dasjenige, welches das Bild durch Juxta- position gibt, indem es die meisten schrägen Strahlen durch Absorp- tion beseitigt.

Exner hat festgestellt, dass die Bilderzeugung durch Superposition nur bei den nachtliebenden Arthropoden vorkommt. Bei denjenigen, die ein Tagleben führen und unfähig sind, nachts zu fliegen und sich zu orientieren, ist das Pigment derart in den hinteren Abschnitten abgelagert, dass es den dioptrischen Apparat jeder einzelnen Facette bis zur Retina von seinen Nachbarn trennt; auf diese Weise wird das Bild dann durch Juxtaposition erzeugt.

Exner hat weiter gefunden, dass eine grosse Anzahl von Insekten und Krustaceen die Fähigkeit besitzt, die Lagerung des Pigments ihrer Augen (Irispigment) derartig zu verschieben, dass es bei intensivem Licht nach hinten verlegt wird und alle starkgebrochenen Strahlen absorbiert, so dass nur die zentralen Strahlen bis nach hinten dringen können; bei dunkler Beleuchtung dagegen wird das Pigment in den vordem Abschnitten zwischen den Kristallkegeln konzentriert, so dass deren hintere Abschnitte und die Kristallkegel frei bleiben; in diesem Falle werden fast alle Strahlen, die in die einzelnen Facetten fallen, nutzbar gemacht. Exner hat auch eines der Augen einer im Dunkeln gehaltenen Lasiocampa quercifolia entfernt und dann das Insekt dem Tages-

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licht ausgesetzt. Das Pigment des im Moment des Todes beleuchteten und dann in Alkohol fixierten Auges befindet sich zwischen dem vor- deren Teil der Rhabdome und verhindert absolut jedes Zustande- kommen eines mehreren Facetten gemeinsamen Bildes; das Pigment des Auges hingegen, das im Moment des Todes im Dunkeln gehalten wurde, befindet sich im Gegenteil ausschliesslich vorn zwischen den Kristallkegeln (Tafel IV, Fig. 28 u. 29 bei Exner). Nun vermögen die Tiere, die diese Fähigkeit besitzen, sowohl bei Tage als bei Nacht zu sehen. Fast alle Insekten, die man gemeiniglich als Nachtinsekten bezeichnet, gehören zu dieser Kategorie, denn sie vermögen auch bei Tage zu sehen. Im Gegensatz dazu erfolgt bei den wirklichen Taginsekten die Bilderzeugung ausschliesslich durch Juxtaposition, und diese Tiere sind bei Nacht vollkommen blind.

Aus diesen schönen Beobachtungen geht auf das deutlichste her- vor, dass der Sinn der Bilderzeugung durch Superposition in der Konzentration von möglichst viel Licht auf jedes retinale Element besteht.

Das Bild des Auges von Lampyris splendidula, das von Exner so klar photographiert und so meisterhaft studiert worden ist, ist ein durch Superposition erzeugtes Bild.

Es ist selbstverständlich, dass es auch Zwischenformen gibt, wie es Tiere gibt, deren Anpassung an das Tag- oder Nachtleben keine vollkommene ist. Exner hat klar gezeigt, wie die eine Augenform sich aus der andern entwickelt hat, wobei die Juxtaposition als der primäre, die Superposition als der sekundäre, von ihr abgeleitete Zu- stand aufzufassen ist.

Sowohl bei denjenigen Insekten (mit mehreren Facetten), welche ein aufrechtes Bild durch Juxtaposition, als auch denjenigen, welche es durch Superposition sehen, ist die Wahrnehmung von Licht, das von demselben Punkt ausgeht, niemals auf eine einzige Facette beschränkt.

Die „Teilbildchen" jeder Facette sind deshalb mehr oder weniger mit denen ihrer Nachbarn vermischt, wodurch ein mehr oder weniger grosser Zerstreuungskreis gebildet wird, der die Gesichtswahrnehmung weniger scharf macht, aber die Fähigkeit erhöht, Ortsverschiebungen des Bildes wahrzunehmen. Denn infolge davon ergibt sich aus der kleinsten Verschiebung jedes Teils die Reizung einer beträchtlichen Zahl von Nervenendorganen. Dies steht somit in Beziehung zu der ausserordentlichen Fähigkeit des Facettenauges, Bewegungen, d. h. Bildverschiebungen wahrzunehmen. Das Wirbeltierauge besitzt diese

Kritische Bemerkungen; Exner 155

Fähigkeit lange nicht in solch hohem Grade, denn es nimmt solche Verschiebungen ganz vorwiegend in der Peripherie des Gesichtsfeldes wahr, wo die Untercheidung der Form nur unvollkommen ist. In diesem Punkt bestätigt Exner seine alten Angaben.

Ferner besitzt das Facettenauge sehr häufig einen katoptrischen Apparat oder ein sogenanntes Tapetum, das dazu dient, solche Strahlen zu beseitigen, die zu schief einfallen oder solche, welche in die Intervalle der Facetten durch Reflexion gelangen. Dies Tapetum ergibt zuweilen wundervolle Spiegelungen.

Ein andrer sehr wichtiger Punkt, auf den Exner Licht geworfen hat, ist der folgende: Das Auge von Limulus und überhaupt die Facettenaugen von mehr primitivem Charakter nähern sich in ihrem Bau den Ocelli oder einfachen Augen. Auf jede Facette kommt bei ihnen eine grössere Zahl von Nervenendelementen (14 16 oder mehr statt 4 8). Diese aber sind nicht in ein Rhabdom verlötet. Das durch Juxtaposition im Auge von Limulus erzeugte Bild ist nichts- destoweniger ein aufrechtes, einzelnes. Doch erkennt Exner an, dass hier vielleicht für jede Facette das Vermögen anfängt, selbständig ein partielles, umgekehrtes, verwischtes Bild (entsprechend den Anschau- ungen von Gottsche) wahrzunehmen, und zwar auf Grund der grös- seren Anzahl von Nervenendorganen. Phylogenetische Gründe sprechen für diese Anschauung.

Um diese Frage weiter aufzuklären, hat Exner das Auge von fossilen Trilobiten untersucht. Dieses Auge aber (es war das von Phacops fecundus) ist ein Mittelglied zwischen dem Auge von Limulus und einer Ocelle. Es ist gross und aus Facetten zusammen- gesetzt, die auf den ersten Blick an das Auge von Limulus erinnern. Doch anstatt eines Kristallkegels hat jede Facette eine wunderschöne einzige chitinöse Linse, ohne Kegel, ähnlich einer Ocelle. Dies Auge müsste demnach in jeder Facette ein umgekehrtes Bild erzeugen, woraus durch Juxtaposition ein grosses, aufrechtes Gesamtbild ent- stehen würde.

Die Spinnen aber besitzen, anstatt und an Stelle von Facetten- augen, eine Anhäufung von Ocellen, die Exner als „hochentwickelt" bezeichnet. Er glaubt nun, dass die Summe von Strahlenbündeln, die von all den umgekehrten Bildern der einzelnen Ocellen her- rühren, ein grosses, mehr oder weniger verschwommenes, aufrechtes Bild ergeben müssten, das von der Spinne als Gesamtbild empfunden wird. Wir entfernen uns somit allmählich von dem Facettenauge und

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hier kommt, wie man sieht, die Auffassung von Gottsche in Betracht; denn eine Facette, die aus einer einfachen Linse besteht, erzeugt notwendigerweise auf der in ihrem Fokus gelegenen Retina ein um- gekehrtes Bild der Gegenstände.

Diese Tatsachen erklären die Phylogenie der zwei Sorten von Augen. Das primitive Auge oder der vor einer Nervenendigung gelegene und von Pigment umgebene, erste, durchsichtige Fleck der Epidermis gestattete dem Tier zu allererst eine Differenzierung zwischen Licht- und Tastempfindung. Die Vermehrung von Nerven- endorganen unter einer einfachen linsenförmigen Cornea führte zur Bildung einerseits der Ocelle, andrerseits auch des Wirbeltierauges. Eine Anhäufung kleiner primitiver Augen, die nach und nach in Facetten um- gewandelt wurden (mit Corneae, zylindrischen Kristallkegeln und Rhab- domen), hat sich schliesslich zum Facettenauge mit einer ganz speziellen Art dioptrischen Sehens (musivisches Sehen) ausgebildet.

Gehen wir zu einigen weiteren Einzelheiten über.

Exner hat die Augen einer grossen Anzahl von Arthropoden untersucht. Gewisse Arten zeigen eine unregelmässige oder dimorphe Struktur. Die Wölbung des Auges variiert sehr stark. Bei gewissen Libellen (so z. B. Cordulegaster) zerfällt das Auge in zwei Teile von verschiedener Struktur. Jede Struktur hat ihre eigene „raison d'etre" und stellt zweifellos eine Anpassung an einen bestimmten Zweck dar, eine Anpassung, zu der der Autor in gewissen Fällen den optischen Schlüssel gefunden zu haben glaubt. Die Augen befinden sich fast immer so weit voneinander entfernt, wie die Dimensionen des Kopfes es nur irgend zulassen. Zuweilen sind sie verschmolzen, weil sie den ganzen vorhandenen Raum beanspruchen.

Bei Libellula depressa sind die Facetten des oberen Teils des Auges fast zweimal so gross und so lang wie diejenigen des unteren Teils, ja, die Kristallkegel sind sogar mehr als doppelt so gross. Die beiden Teile zusammen bilden trotzdem ein Tagauge (Bild durch Juxtaposition). Exner macht darauf aufmerksam, dass diese An- ordnung den oberen Teil des Auges besser befähigt erscheinen lässt, Gegenstände in einer grösseren Entfernung zu sehen, während der untere Teil mehr auf die Wahrnehmung naher Gegenstände zu- geschnitten sein dürfte. Nun bewegen sich, wie er ganz mit Recht bemerkt, die Libellen vorwiegend in einem niedrigen und horizon- talen, „schwebenden" Fluge, so dass sie ihre Feinde oder ihre Beute meist vor oder über sich erblicken, während, sobald sie ihre Beute

Kritische Bemerkungen; Exner 157

gepackt haben, sie dieselbe nah, unterhalb von sich und in einem mehr oder weniger unbeweglichen Zustand sehen.

Das Auge gewisser Krustaceen (Copilia, Sapphirina etc.) ist ganz einzigartig. Es besteht aus einer einzigen prachtvollen Chitin- linse. Sehr entfernt davon, jedoch durch einen Muskel und Ligamente damit verbunden, befindet sich ein Kristallkegel und hinter diesem ein kleiner optischer Nerv mit einem einzelnen Rhabdom mit drei Zellen. Zwischen der Linse und dem Kristallkegel befinden sich Teile des absolut durchsichtigen Körpers des Krebstiers. Warum ist nun hier ein einzelnes Rhabdom mit einem so bemerkenswerten Apparat verknüpft? Dies erscheint Grenacher ganz unverständlich. Exner aber hat bemerkt, dass der Kristallkegel, der mit dem Rhabdom zu- sammen ein Ganzes ausmacht, sehr beweglich ist und beim lebenden Tier symmetrisch mit dem des andern Auges bewegt wird, während beide sich in der gleichen Entfernung von der Linse halten. Mit anderen Worten: das einzige Nervenendelement untersucht hinterein- ander die verschiedenen Portionen des einen, umgekehrten von der Linse erzeugten Bildes; es „betastet" resp. prüft sie sozusagen in ganz ähnlicher Weise wie der gelbe Fleck des menschlichen Auges hintereinander die verschiedenen Teile eines Bildes, das wir sehen, prüft, so dass, obgleich wir wohl die Gesamtheit des Bildes sehen, wir deutlich in einem Augenblick nur denjenigen Punkt wahrnehmen, der von dem gelben Fleck fixiert wird.

Diese Hypothese Exners, zusammen mit seinen Beobachtungen, vermag allein dies eigentümliche Auge zu erklären, das, soviel muss zugegeben werden, eine richtige „Ausnahme von der Regel" darstellt. Gleichzeitig repräsentiert es einen prachtvollen Fall von spezieller Adaptation, indem hier die Durchsichtigkeit des gesamten Körpers der Copepoden ihren Gesichtswahrnehmungen dienen muss.

Bei der Gattung Phronima mit ihren Ungeheuern, dünnen und gebogenen Kristallkegeln, deren Enden geradezu die Retinulae be- rühren, wird die Erzeugung eines Bildes durch Superposition un- möglich. Auch eine Bilderzeugung durch Juxtaposition, wie Exner sie tatsächlich für möglich hält, scheint mir ausgeschlossen, und zwar infolge der Krümmung und Dünne der Kristallkegel, die die Dioptrik des linsenförmigen Zylinders nicht gestatten. Trotzdem ist Exner sowohl durch Theorie als durch direkte Beobachtung zu dem Schluss gekommen, dass die Strahlen in jeder einzelnen Facette gebrochen werden, so dass sie verstärkt am Ende der Kristallkegel anlangen. Hier wird

158 Kritische Bemerkungen; Exner

wieder ein einzelnes aufrechtes Bild erzeugt, ähnlich dem durch Juxta- position geschaffenen, aber noch mehr nach der Weise der J. Müller- schen Theorie musivischen Sehens. Bezüglich des Auges von P h r o n i m a sieht sich Exner veranlasst, den in seinen früheren Werken vertretenen Theorien treu zu bleiben.

Zweifeilos sind die von den Facettenaugen erzeugten Bilder ungenau resp. in ihrer Form entstellt. Aber man darf nicht vergessen, dass auch wir uns der Unvollkommenheiten unseres Sehens wie überhaupt unsrer Sinne nicht bewusst sind (man denke an die Farbenblinden und an die Astigmatischen). Das Insekt, dessen Auge ihm ein in der Form entstelltes oder verschwommenes Bild liefert, hat es nie anders gekannt. Es unterscheidet lebende und leblose Gegenstände und ihre Bewegungen allein mittels seines so beschaffenen Gesichts- sinns, der sein einziges Kriterium für Unterschiede bildet. Ohne sich je der Unvollkommenheiten seiner Sinne bewusst werden oder ahnen zu können, dass es Besseres gibt, geht es seinem Tagewerke nach, mit Instinkten, die eben jenen Sinnen angepasst sind, ja auf den- selben, wie sie nun einmal beschaffen sind, basieren.

Exner betrachtet die Wahrscheinlichkeit einer Akommodation beim Facettenauge als sehr gering. Trotzdem sind Insekten imstande, Entfernungen abzumessen, selbst dort, wo die Konvergenz der beiden Augen ihrer Unbeweglichkeit wegen fortfällt. Exner glaubt indessen, dass die Entfernung der beiden Augen voneinander und der ge- meinsame Teil ihres Gesichtsfeldes wo ein solcher besteht\ durch den Winkel, der aus den Achsen der zwei Bilder erzeugt wird, einen gewissen Grad von stereoskopischem Sehen bei geringer Ent- fernung ermöglicht. Er macht an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass, wenn wir selbst eines unsrer Augen schliessen und unsern Kopf bewegen, diese Bewegung genügt, um uns z. B. die Tiefe eines Baumzweiges (bei verkürzter Ansicht desselben) beurteilen zu lassen, was wir vom ruhendem Zustand aus nicht können. Dies kommt daher, dass die Verschiebungen bei den nahen Gegenständen stärker sind, grössere Ausschläge geben als bei den entfernten. So können auch in Bewegung befindliche Insekten sowie Krebse mit ihren be- weglichen Augen die Tiefe der Gegenstände besonders gut beurteilen.

^ Bei vielen Insekten z. B. Cryptocerus gibt es keinen gemeinsamen Ab- schnitt in den Gesichtsfeldern der beiden Augen. Vgl. oben Tafel I, Fig. 6 a und 6 b.

Kritische Bemerkungen; Exner 159

Ich muss den Leser hier an etwas bereits weiter oben Betontes erinnern, dass nämlich die Schnelligkeit, mit der, entsprechend der vergrösserten Entfernung, das Bild im Facettenauge undeutlicher wird, dem Insekt wesentlich helfen dürfte, Entfernungen abzuschätzen.

Um in der Fülle der komplizierten Probleme, die uns hier be- schäftigen, nicht die Übersicht verloren gehen zu lassen, komme ich jetzt noch auf ein psycho-physiologisches Gesetz zurück, das wir nie aus den Augen verlieren sollten: Das Gehirn wird in der Qualität seiner Wahrnehmungen beherrscht vom Differenzierungs- vermögen, das ihm die Sinne liefern. Es ist demzufolge durchaus nicht bloss hypothetisch gesprochen, wenn wir von einer Differen- zierung, die aus der bestimmten Struktur und Lage eines Sinnesorgans erwächst, schliessen auf eine korrespondierende Differenzierung der zerebralen Wahrnehmungen. Und in gleicher Weise sollte die Ab- wesenheit einer Sinnesorganstruktur und -Lage uns auf die Ab- wesenheit der entsprechenden Wahrnehmung schliessen lassen, es sei denn, dass diese Struktur durch eine andre analoge vertreten sei, so wie z. B. das Facettenauge mit seinem einzigen aufrechten Bild, freilich unter gewissen Modifikationen das umgekehrte Bild unsres Auges ersetzt; und ferner sollte eine überzählige Struktur mit wohl- umschriebener Funktion uns auf eine korrespondierende überzählige zerebrale Wahrnehmung hinweisen. Wir werden auf diesen Gegen- stand anlässlich des Kontakt-Geruchssinns und seines Sitzes auf einem beweglichen Organ zurückkommen, doch lag mir daran, das allge- mein gültige Gesetz schon hier und in seiner Beziehung auf den Ge- sichtssinn zu formulieren. Freilich bedarf es in jedem Fall des Kon- trollbeweises mittels des biologischen Experiments.

Ehe wir Exner, der uns die optische Basis des Gesichtssinns der Arthropoden so trefflich erläutert hat, verlassen, möchte ich noch erwähnen, dass er sich mit gewissen widersprechenden Hypothesen anderer Autoren (Notthaft, Thompson, Lowne,^ Patten-) auseinander- gesetzt hat und ihnen gerecht geworden ist. Notthaft habe ich selbst schon weiter oben besprochen. Lowne ist der Meinung, dass das Rhabdom kein Nervenorgan, sondern ein Teil des dioptrischen Ap- parates sei; er glaubt noch hinter demselben eine Retina gefunden zu haben. Doch ist es undenkbar, dass das Rhabdom in Anbetracht seiner Struktur das zwiefach umgekehrte Bild, das Lowne ihm zu-

^ Trans. Linn. Soc. 1884.

2 Journal of Morphology, I. Nr. 1, 1887.

160 Kritische Bemerkungen; Lubbock

schreibt, hervorbringen sollte. Ferner kann, vom histologischen Ge- sichtspunkte gesprochen, kein Zweifel darüber herrschen, dass das Rhabdom den Stäbchen der Retina entspricht, Organen, die sich in allen Augen erkennen lassen.

Ich erwähne noch zum Schluss, dass Prof. Dr. Grützner in Tü- bingen eine grosse schematische Nachahmung des Facettenauges konstruiert hat, mit Hilfe welcher man direkt das aufrechte Bild Exners sehen kann.

II. Sir John Lubbock.^

In einem neuen Buch, welches seine alten Experimente und die andrer Autoren resümiert, bestätigt Lubbock seine und meine eignen früheren Beobachtungen über den Gesichtssinn, wendet sich ebenso wie ich, jedoch ohne auf Einzelheiten einzugehen, gegen Plateau und pflichtet den Theorien von Exner und Grenacher bei.

Bezüglich meiner eignen Experimente an Ameisen mit abgeschnit- tenen Antennen spricht Lubbock gewisse Zweifel aus, da nach seiner Meinung „Ameisen in einsamem und vollends leidendem Zustand viel weniger kampfbegierig sind als unter normalen Verhältnissen." Mein verehrter Widersacher ist, bei all seinem sonstigen Scharfblick, in diesem Fall im Unrecht, und zwar aus folgenden Gründen:

Ameisen mit gefirnissten Augen, Ameisen, die in der Mitte des Körpers entzwei geschnitten wurden, Ameisen, denen man eine ein- zige Antenne oder mehrere Füsse abgenommen hat, all diese kämpfen miteinander und töten sich genau wie normale Tiere ihresgleichen, vorausgesetzt, dass die beteiligten verschiedenen Arten oder Kolonien angehören. Warum hört nun aber jedes Kämpfen auf, sobald beide Antennen oder auch nurdie beiden Fühlergeisseln abgeschnitten werden? Warum entsteht vielmehr bei Myrmica, ebenso wie wenn man diese Tiere mit Sublimat bestreut, sofort nach Amputation ein plötzlicher und allgemeiner Krieg, und zwar zwischen den Schwestern derselben Kolonie? Diese Tatsachen lassen sich nur durch den Verlust des Ver- mögens erklären, Freund und Feind zu erkennen, und zwar des Ver- mögens, ihn mittels des Kontaktgeruchs zu erkennen, dessen Träger die Fühlergeisseln sind. Eines aber scheint Lubbock nicht genügend in Betracht zu ziehen, dass wir es nämlich hier mit einem viel komplizier-

- On the Senses, Instincts and Intelligence of Animals. London 1888. Deutsche Übersetzung von W. Marshall, Leipzig 1889.)

Kritische Bemerkungen; Lubbock 151

teren und dem Gehirn genauere Raumverhältnisse liefernden Geruchs- sinn zu tun haben, als unser eigner es ist, mit einem Geruchssinn, dessen Rätsel mir noch längst nicht gelöst erscheinen.

Bezüglich der Fähigkeit, die Ameisen haben oder nicht haben, Ameisen zu erkennen, die in einer andern Ameisenkolonie ausge- krochen sind, die jedoch vor dem Auskriechen als Puppen ihrer eigenen Kolonie angehörten, erneuert Lubbock seine Experimente mit Lasius niger. Diese scheinen ihm seine frühere bejahende Beantwortung dieser Frage zu bestätigen. Ich selbst habe bei Formica, und zwar bei verschie- denen Gelegenheiten, das Gegenteil gefunden. Nun haben wir beide aber an verschiedenen Gattungen experimentiert sollte dies der Grund der widersprechenden Resultate sein? Es ist dies ein Punkt, der weiterer Aufklärung bedarf.

Was die hypothetischen Gehörorgane und den Gehörssinn der Insekten überhaupt betrifft, so glaubt Lubbock jetzt, dass die In- sekten hören, ohne jedoch direkte oder neue Beweise dafür vorzu- bringen. Wir verweisen auf das oben Gesagte.

Dagegen stimmt Lubbock völlig mit mir überein betreffs des Geschmackssinns und der Geschmacksorgane; auch ist er der Meinung, dass das Wolffsche Organ (am Gaumen) diesem Sinn dient. Wir wissen, bis zu welcher Höhe der Geschmackssinn sowohl, wie dieses Organ bei dem Bienenvolk entwickelt ist, während die Lebensweise der Chalciditen und der Braconiden, denen das Wolffsche Organ fast gänzlich fehlt, wohl ein sehr scharfes Geruchs-, nicht aber Geschmacks- organ bedingt.

Was den Geruchssinn betrifft, so bekennt sich Lubbock im allge- meinen zu unserer Ansicht, indem er die Antennen als Sitz desselben betrachtet. Doch glaubt er auch Spuren von Geruchssinn in den Palpen gefunden zu haben. Überzeugt (ebenso wie ich), dass das Riechvermögen aus der Entfernung bei den Bienen wenig entwickelt ist, vermag er es sich nicht zu erklären, warum ihre Antennen eine so enorme Zahl von Nervenendorganen aufweisen nach Micks 20000! und schliesst aus dieser Tatsache auf das Vorhandensein eines andern Sinnes in denselben. Doch ist Micks' Berechnung absolut falsch, wofern die Zahl nicht auf einem Druckfehler beruht. Die Sinnes- haare der Bienen sind, wie Micks dies selbst demonstriert hat, einseitig an der sehr kurzen Antenne angeordnet. Es ist nun die mediane dorsale Oberfläche der letzten acht Glieder der Fühlergeissel, die bei der Honigbiene als Sinnesfläche dient. Nach meiner annähernden

Forel, Das Sinnesleben der Insekten 11

152 Kritische Bemerkungen; Lubbocl^

Schätzung dürfte jedes Glied des Fühlers 200 250 Nervenendorgane aufweisen, höchstenfalls aber 300. Daraus geht hervor, dass Lubbock und Hicks eine Null zu viel gesetzt haben, und dass die Totalsumme sich auf 2000 allerhöchstens belaufen dürfte. Lubbock zieht nun das, was ich als Kontaktgeruch bezeichnet habe, überhaupt nicht mit in Betracht. Gerade der Kontaktgeruch scheint aber bei der Biene sehr gut entwickelt zu sein. Man kann sehr leicht beobachten, dass die Bienen die Staubgefässe und den Stempel der Blumen, an denen sie saugen, mit ihren gegeneinander gerichteten Antennen betasten, d. h. dass sie den betreffenden Teil der Blume zwischen die beiden Fühlergeisseln zu fassen kriegen und mit deren Sinnesfläche prüfen. Dies ist keine Betätigung des Tastsinnes, sondern des Kontakt-Ge- ruchssinnes, mittels dessen sich die Biene über die chemischen Eigen- schaften der Blumen orientiert.

Was nun die Champagnerpfropforgane betrifft, so habe ich selbst (Etudes myrmecol., 1894, Bull. soc. vaud. sc. nat. Vol. XX, Nr. 91) gezeigt, dass sie, ebenso wie die flaschenförmigen Organe, bei den Vespidae fehlen oder fast fehlen, bei den Honigbienen dagegen sehr stark vertreten sind. Diese einfache Tatsache entkräftet ohne weiteres die Theorie, dass dies, wie Lubbock annimmt, Gehörs- oder Geruchsorgane seien.

Bezüglich des Gehörssinns muss ich an die Tatsache erinnern, dass die inneren Gehörorgane bei Mensch und Wirbeltier, ebenso wie auch der Gehörnerv, zwei gänzlich verschiedenen Funktionen dienen. Die Nervenendapparate der Cochlea, speziell des Cortischen Organs bilden den eigentlichen Hörapparat. Die nervösen End- apparate des Vorhofes und der Bogengänge erfüllen die Funktion eines Gleichgewichtsorgans und haben wahrscheinlich gar nichts mit dem Gehör zu tun. Die Bulbarzentren der beiden Nerven sind, wie ich durch meine Experimente an Kaninchen bewiesen habe, absolut voneinander verschieden (s. Forel, Vorl. Mitteilungen über den Ursprung des Nervus acusticus, Neurolog. Zentralblatt 1885; Onu- frowicz, Br. : Exp. Beiträge z. Kenntnis d. Zentr. Ursprungs d. Nervus acusticus, Archiv für Psychiatrie 1885). Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Otolithen der niederen Wirbeltiere, Mollusken etc. dem Cor- tischen Organ entsprechen. Dagegen erscheint mir ihre Homologie mit dem Vestibularapparat und speziell mit der Basis der Bogengänge mehr als wahrscheinlich.

Diese einfachen Tatsachen zwingen uns zum Nachdenken und zum

Kritische Bemerkungen; Lubbock 163

Herbeibringen der triftigsten Beweise, ehe wir es wagen, den Insekten und andern Wirbellosen kompliziertere Gehörorgane zuzuschreiben. Wäre es doch mögh'ch, dass die tympaniformen Organe einen uns noch ganz unbekannten, vom Gehör sehr verschiedenen Sinn dar- stellen.

Was nun den hypothetischen Richtungssinn betrifft, so schliesst sich Lubbock völlig der von Romanes und mir selbst vertretenen Ansicht an, die dahin zielt, dass es sich hierbei einfach um eine Er- innerung an den Anblick der betreffenden Örtlichkeiten handelt. Gleichzeitig gibt Lubbock zu, dass er sich eine Zeitlang von den Argumenten Fabres (s. oben) habe bestechen lassen.

Was nun den Gesichtssinn betrifft, so möchte ich, besonders auch im Hinblick auf die weiter unten zu referierenden Experimente Plateaus, folgende Lubbockschen Versuche erwähnen:

1. Er stellte Honig in ein Fenster und wartete stundenlang, ohne dass eine Biene den Honig gefunden hätte. 2. Er setzte eine Biene (ohne dass diese von dem Honig angelockt worden wäre) zu einer Portion Honig in ein ungefähr 150 m vom Bienenstock entferntes Fenster. Sie sog den Honig, flog davon, kehrte aber nicht wieder. (Dieses Experiment hat Lubbock mehr als zwanzigmal mit demselben Erfolg wiederholt.) 3. Wenn er die Biene, 15 m vom Stock entfernt, in gleicher Weise an den Honig setzte, so kam sie zwar schliesslich zum Honig zurück, ohne jedoch einen Gefährten mitzubringen. Nie- mals, obwohl er dieses Experiment sehr oft wiederholte, sah er die Biene in Begleitung von Gefährten wiederkommen. 4. Er stellte Honig zwei oder drei Fuss entfernt von dem Ort, wo die Bienen Blumen zu besuchen pflegten, auf; nie fanden sie ihn. 5. Nach langem und geduldigem Experimentieren kam er zu dem Schluss, dass die Bienen blau jeder anderen Farbe vorziehen. Ich kann nicht behaupten, dass mir das Resultat dieser letzten Experimente völlig klar und überzeugend geworden wäre.

Im ganzen genommen aber finde ich, dass mit Ausnahme der Gehörssinnsfrage, bei der mir durch die experimentellen Beweise ab- solut nichts erwiesen erscheint, Lubbocks Experimente und die meinigen fast gänzlich übereinstimmende Resultate zeitigten; einige divergierende Einzelheiten erscheinen mir hierbei ganz unwesent- lich. Diese Tatsache hat um so grösseren Wert, als Lubbocks kriti- sche Geistesrichtung besonders dahin tendiert, Meinungsverschieden- heiten zu unterstreichen, und als dieser Autor einer der wenigen ist,

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164 Kritische Bemerkungen; Plateau

die gründlich in diese Frage eingedrungen sind und sie von allen Gesichtspunkten aus beleuchtet haben.

HI. Felix Plateau^ Meine eignen neuen Experimente.

Nur mit Widerstreben begebe ich mich an die Besprechung dieses Autors. Nicht, dass es schwer wäre, ihn zu kritisieren, aber meine Kritik wird einen beträchtlichen Raum beanspruchen, und vor allem wird es äusserst peinlich für mich sein, die falschen Schlussfolge- rungen eines Fachgenossen auszulegen, vor dessen Geduld, Fleiss, Ehren- haftigkeit und gutem Glauben ich die grösste Hochachtung hege. Doch ist es um so notwendiger, auf diese Angelegenheit gründlich einzu- gehen, als Plateau, trotz oder vielleicht auf Grund der unendlichen Geduld und Ausdauer seiner Forschungen eine grosse Verwirrung in diese uns beschäftigenden Fragen hineingetragen hat, und als ferner seine Resultate und Schlussfolgerungen nur zu leichtgläubig von ge- wissen andern Autoren aufgegriffen worden sind, und zwar gerade von solchen, die sich sonst allen ihren Vorgängern gegenüber sehr überlegen fühlen.

Ehe ich in meine Besprechung der Plateauschen Arbeiten eintrete, möchte ich nochmals ganz kurz an einige allgemeine Thesen erinnern, die für mich längst feststehen, und in denen ich mich eins mit Darwin,

^ Felix Plateau:

1. Comment les fleurs attirent les insectes. Bulletin de l'Academie royale de Belgique, 3me serie, Tome 30, N. 11, 1885; Tome 32, N. 11, 1896; Tome 33, N. 1, 1897; Tome 34, N. 9 u. 10, 1897; Tome 34, N. 11, 1897 (5 Teile).

2. Derselbe. Un filet empeche-t-il le passage des insectes? Ibidem. Tome 30. N. 9 u. 10, 1895.

3. Derselbe. Nouvelles recherches sur les rapports entre les insectes et les fleurs. Memoires dj la soc. zool. de France, Tome 11, S. 339, 1898.

4. Derselbe. Exp. sur le role des palpes chez les arthropodes maxilies. Buil. de la soc. zool. de France, 1887.

5. Derselbe. Recherches experimentales sur la vision chez les arthro- podes. 3me, 4me et5me Parties. Bulletin de l'Acad. royale de Bel- gique, 1888.

6. Derselbe. Nouv. Rech, sur les rapports entre les insectes et les fleurs. Mem. soc. zool. de France. Tome 11, N. 3, 1898, u. Tome 12, S. 336, 1899.

7. Derselbe. La vision chez l'Anthidium manicatum. Annales soc. ent. Belg. T. 43, 1899.

Kritische Bemerkungen; Plateau 165

Romanes, Lubbock, kurz mit allen den Forschern fühle, die wirklich tiefer in die Psychologie der Insekten eingedrungen sind. Diese Thesen möchte ich klipp und klar wie folgt formulieren:

a) Selbst wenn, wie dies häufig der Fall, einer der Sinne die haupt- sächliche richtunggebende Rolle bei einem Insekt spielt, so ist es doch die Regel, dass die Insekten die Wahrnehmungen verschie- dener Sinne bei ihrer Orientierung kombinieren.

b) Aufmerksamkeit spielt bei der Orientierung der Insekten eine grosse Rolle. Ist die Aufmerksamkeit stark auf ein bestimmtes Ziel oder Objekt gerichtet, so ignorieren die Tiere oft alle andern Dinge, ähnlich wie ein in sich versunkener Gelehrter. (Diese Beobachtung machen wir an honigfressenden Bienen, kämpfenden Ameisen etc.)

c) Das Gedächtnis der Insekten variiert stark, je nach der Spezies, und hat zu seiner Grundlage die verschiedenen assoziierten Sinnes- eindrücke und Muskelinnervationen. Es ist stärker als man a priori annehmen sollte bei Insekten mit komplizierten Instinkten und be- sonders bei sozialen Hymenopteren, aber ausserordentlich schwach bei den mit kleinen Gehirnen versehenen Arten.

d) Wie Lubbock und H. Müller gezeigt haben, spielt die Übung oder Trainierung eine grosse Rolle. Von einer Gesichts- oder Ge- ruchswahrnehmung irgendwelcher Art angezogen (zuweilen von einer Kombination dieser beiden), richtet ein Insekt im Anschluss hieran seine Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand oder auf eine instinktive koordinierte Handlung, die mit einem bestimmten Zweck verbunden ist. Wenn dies erst einmal vollzogen ist, kann man sehen, wie das Insekt, sei es seine Wanderungen zu dem betreffenden Objekt, sei es die er- wähnte instinktive Handlung zu öfteren Malen und mit einer rapid zunehmenden Präzision wiederholt. Dies bedeutet nun nicht etwa, dass das Insekt erst die Dinge lernen müsste, die sein ererbter In- stinkt ihm fertig überwiesen hat, wohl aber, dass, um mit Sicherheit die ganze Serie instinktiver Tätigkeiten auszuführen, es häufig einer entsprechenden Serie von Gedächtnisbildern (von Engrammen, um mit Semon zu sprechen) bedarf, d. h. von assoziierten und assoziier- baren sinnlichen Bildern, die nicht nur sehr klar an sich, sondern auch sehr klar in das Gedächtnis eingeprägt sein müssen. Tätigkeiten, die keiner Gedächtnishilfe bedürfen, wie z. B. das Kauen oder die Kopu- lation, scheiden hierbei natürlich aus. Die komplizierten Tätigkeiten der sozialen Hymenopteren dagegen bedürfen des Gedächtnisses und folglich einer progressiven Einprägung und Assoziation von Eindrücken

166 Kritische Bemerkungen; Plateau

durch Wiederholung, woraus dann die Gewohnheiten oder das „Trai- ning" hervorgeht, undzwar sowohl auf zentripetalem (psychosensiblem) als auch auf zentrifugalem (psychomotorischem) Gebiet.

Bei uns selbst spielt sich diese gleiche Sache, nur in einer unendlich viel umfassenderen und komplizierteren Weise ab, und die Gesetze für die Fixierung von Gewohnheiten oder sekundären Automatismen sind dieselben auf dem psychosensiblen und intellektuellen Gebiet (optische und akustische Erinnerungsbilder usw., Lektüre, Verständnis der Laut- sprache) als auf psychomotorischem Gebiet (technische Geschicklich- keiten). Nur ist beim Insekt fast die ganze „Gewohnheit", fast der ganze Automatismus prädeterminiert und von Geburt ab, wenigstens in seinen hauptsächlichen Teilen, durch Erblichkeit fixiert. Immerhin bedarf es plastischer Kombinationen von Gedächtniseindrücken, um diese Mecha- nismen jedem besonderen Einzelfall anzupassen. Sehr beträchtlicher Kombinationen, soviel geben wir zu, bedarf es beim Insekt allerdings nicht, denn die „Instinkts- Portionen", wenn ich so sagen darf, (oder die erblichen Automatismen) sind stets bereit, sobald der entsprechende Sinnesreiz (Empfindung) ihre Erweckung veranlasst, mit grösster Prä- zision in Aktion zutreten. ImmerabersindwenigstensEmpfindungen, auch bei den niedersten Tieren, die Vorbedingung zum Ablauf eines Instinktes. Bei entwickelteren Insekten sind ausser diesen relativ ein- fachen Empfindungen kompliziertere Wahrnehmungen notwendig, welche in Kombinationen zwischen Gedächtniseindrücken unter sich und mit neuen Empfindungen bestehen, so z. B. die Fähigkeit, einen Gegen- stand wiederzuerkennen. Die Wahrnehmung begreift überhaupt das Wiedererkennen in sich.

Es ist dem Psychologen bekannt, dass die Wahrnehmung ein sehr kompliziertes Ding und das Resultat der Assoziation vorhergegangener Empfindungen ist. Sie setzt mit absoluter Notwendigkeit Gedächtnis voraus. Und die Tatsachen zwingen uns, auch bei den Insekten, jedenfalls bei den höheren unter ihnen, das Vorhandensein von Wahrnehmung und Gedächtnis zu konstatieren. Diese beiden an sich plastischen Fähigkeiten sind es, welche die „Instinkt-Portionen" dem jeweiligen Zwecke anzupassen und zu diesem Behuf in plastischer Weise zu kombinieren vermögen. Und durch ihr Studium allein können wir zu einer Erkenntnis der Gewohnheiten, d. h. der Produkte der Übung, in jedem einzelnen Falle gelangen.

e) Insekten besitzen einzelne Kategorien von Gefühlen und Affekten, die je nach Art, Gattung und Familie mehr oder weniger stark ent-

Kritische Bemerkungen; Plateau 167

wickelt sind. Zorn, Angst, Entmutigung, Eifersucht sind unter den sozialen Hymenopteren sogar sehr ausgesprochen, ebenso Zuneigung und eine auf Erfolg basierende Tollkühnheit (siehe oben). Wenn man die Handlungen der Insekten richtig beurteilen will, muss man diese Affekte notwendig mit in Betracht ziehen. Die Affektzustände der Nervenzentren sind im Tierreich ein sehr wichtiger allgemeiner Faktor und sind mit Gefahr, Erfolg, Niederlage, fruchtlosen Bemü- hungen, Schmerz, Angriff, Verteidigung verbunden, sowohl beim Indi- viduum als auch bei der Gesamtheit. Ich habe hierfür sowohl in diesen Studien wie in meinen „Fourmis de la Suisse" viele Beispiele aus dem sozialen Leben der Ameisen angeführt. Es ist selbstverständlich, dass wir uns von der speziellen subjektiven Art und Weise, wie Insekten ihre Gefühle empfinden, kein deutliches Bild zu machen vermögen; doch ist die Analogie der betreffenden Zustände und ihrer Ursachen durch das ganze Tierreich hindurch eine so frappante, dass man unsäglich vorurteilsvoll sein müsste, um sie zu leugnen. Ja man muss sagen, dass die ursprünglichen (zugleich die typischsten) Affekt- zustände so eng mit den Instinkten verwachsen sind, dass sie auch bei uns Menschen einen sehr weit zurückliegenden phylogenetischen Ursprung verraten, und dass daher a priori nichts Erstaunliches dabei ist, wenn wir sie bei den Insekten sogar leichter wiederfinden und erkennen als die intellektuellen Elemente.

f) Nichts ist so gefährlich wie verfrühte Verallgemeinerungen, ausser etwa:

g) unberechtigte Schlüsse, die aus Experimenten gezogen werden, oder, wenn man will, irrige Interpretationen von Experimenten.

Nachdem ich so den Boden einigermassen geebnet habe, möchte ich bemerken, dass die zahlreichen Irrtümer, die Plateau widerfahren sind, grösstenteils ihren Grund darin haben, dass er die Psychologie der Insekten nicht genug berücksichtigt und überhaupt zu häufig in die soeben gekennzeichneten Fehler verfällt. Um die Angelegenheit zu vereinfachen, werden wir bei unserer nun folgenden Kritik ebenso wie auf die Zahlen 1—7 der Werke Plateaus auf die Buchstaben- zeichnung a g der eben angeführten Leitsätze zurückgreifen.

L Palpen. Plateau behauptet, dass die Palpen (oder Taster) bei Insekten, Krustazeen, Myriapoden und Arachniden Organe seien, die „nutzlos oder nahezu nutzlos geworden sind, und die das betreffende Tier ohne Schädigung entbehren kann". Ich selbst glaubte, diese Organe, indem ich den zweiten Teil der Plateauschen Behauptung

168 Kritische Bemerkungen; Plateau

gelten Hess, auf Grund mehrerer früher geschilderter Experimente, als blosse Tastorgane betrachten zu sollen. Trotzdem geben seine Experimente Plateau keineswegs das Recht, sie für „nutzlos gewordene Organe" zu erklären.

Wie Nagel und Wasmann sehr klar gezeigt haben (s. unten), be- weist die Tatsache, dass viele ihrer Palpen beraubten Tiere Ge- schmack und Geruch zeigten, keineswegs das, was Plateau damit bewiesen zu haben glaubt. Übrigens sagt uns schon der gesunde Menschenverstand das Gegenteil. In der Tat finden wir bei gewissen Insekten die Palpen und ihre zugehörigen Sinnesorgane sehr gut entwickelt, während sie bei ganz nahe verwandten Formen sehr rudi- mentär sind. Wenn ihre Funktion bei allen Insekten rudimentär wäre, so würde auch das Organ selbst überall rudimentär sein; dies ist ganz klar, doch scheint Plateau es nicht einzusehen. Mit Hilfe sehr bemerkenswerter Experimente hat Nagel nachgewiesen, dass bei ver- schiedenen Insekten die Palpen einem Nahgeruch oder Kontaktgeruch dienen, der eine gewisse Verwandtschaft mit dem Geschmack zeigt dies noch ausser ihrer charakteristischsten Haupteigenschaft, dem Tast- sinn, dessen Funktionen sie bei allen Insekten dienen. Die Nageischen Experimente beweisen, dass mir selbst (was zu erwarten war) einiges entgangen ist, und dass Plateau sich ganz im Irrtum befindet.

2. Gesichtssinn bei Arthropoden.

a) Bei Raupen. Plateau geht in folgendem von einer vorzüg- lichen Idee aus. Indem er sich den Instinkt der meisten Raupen, von der Erde aus, wo sie sich befinden, irgendeinen aufrechtstehenden Ast oder Stengel zu erklettern, zunutze machte, setzte er sie zu- nächst auf einen horizontalen Stab, den sie entlang krochen. So- bald die Raupen das Ende des Stabes erreicht hatten, näherte er diesem einen vertikalen, trockenen Zweig von 30 cm Höhe und 5 mm Dicke und beochtete den Moment, in dem die Raupe deutliche und unzweifelhafte Versuche machte, den Ast zu erreichen (wobei von den blinden, direktionslosen Hin- und Herbewegungen dieser Tiere abgesehen wurde). Nachdem Plateau diesen Versuch mit 15 Raupenarten gemacht hat, glaubt er festgestellt zu haben, dass der aufrechte Ast erst aus einer Entfernung von Vs— 2 cm (je nach der Spezies) wahrgenommen wurde, während sich die Raupen unausge- setzt nach dem Körper des Experimentators und andern sehr grossen Gegenständen wendeten, und zwar schon aus einem Abstand von 40 cm

Kritische Bemerkungen; Plateau 169

und mehr (vgl. meine eigenen Beobachtungen an Lasius fuligi- nosus). Ferner behauptet Plateau, dass die Raupen bewegte Gegen- stände aus keiner grösseren Entfernung wahrnahmen als unbewegte Gegenstände derselben Dimension. Da diese Tiere nur 5—6 sehr kleine, einfache, primitive Augen auf jeder Seite des Kopfes besitzen, bestätigt diese Beobachtung die Exnerschen Behauptungen. Ausser- dem zeigt Plateau, dass Raupen besonders vermittelst ihrer Haare Tastsinn und auch einen ganz schwachen Geruchssinn besitzen (er prüfte dies, indem er ihnen frische Stengel von gewissen Pflanzen, die sie bevorzugen, hinhielt). Wäre Plateau nicht über das, was diese Tat- sachen aussagen, hinausgegangen, so würden wir uns in bester Über- einstimmung befinden.

Weil aber gewisse Myriapoden unter denselben Versuchsbedin- gungen den dargebotenen Zweig nicht bemerkten, schliesst Plateau, 1. dass bei der Raupe ein Netzhautbild und eine wirkliche Gesichts- wahrnehmung entsteht, und 2. dass die Wahrnehmung eines sehr umfangreichen Objektes wie z. B. seines eignen Körpers aus einer Entfernung von 40 cm als etwas